"In Ihrem „Selbstportrait aus unwillkürlichen Selbstgesprächen“ stehen einzelne Sätze, Assoziationen, Anrufungen, die mir sehr gefallen haben. Lassen Sie mich gelegentlich ein paar dieser Sätze zitieren?
Zum Beispiel?
„Immer wird dich die Einsamkeit nicht verwöhnen“.
Ah, Sie wollen hoffentlich keine Interpretation von mir.
Ah, Sie wollen hoffentlich keine Interpretation von mir.
In Ihrer neuen Erzählung „Die Moldawische Nacht“ ist einmal die Rede von den „von Natur aus Alleinigen, Alleinseinsidioten, Alleinseinswahnsinnigen.“ Ist Alleinsein für Sie die beste aller Lebensformen?
Grad heute früh habe ich gedacht: Im Grunde bin ich ein Familienmensch. Es kommt nur auf die Familie an, wie man mit ihr umgeht und wie man den richtigen Abstand gewinnt. Mein Ideal war, beides zu verbinden - was eigentlich ziemlich hirnrissig ist: zu meinen, dass man das Schreiben und Kinder verbinden könnte; oder - verbinden ist nicht das Wort - dass beides parallel geführt werden könnte. Es kann sein, dass ich damit gescheitert bin, aber ich bin nicht einmal sicher. Sonst hätte ich wenigstens eine Gewissheit im Leben.
Grad heute früh habe ich gedacht: Im Grunde bin ich ein Familienmensch. Es kommt nur auf die Familie an, wie man mit ihr umgeht und wie man den richtigen Abstand gewinnt. Mein Ideal war, beides zu verbinden - was eigentlich ziemlich hirnrissig ist: zu meinen, dass man das Schreiben und Kinder verbinden könnte; oder - verbinden ist nicht das Wort - dass beides parallel geführt werden könnte. Es kann sein, dass ich damit gescheitert bin, aber ich bin nicht einmal sicher. Sonst hätte ich wenigstens eine Gewissheit im Leben.
Sie sind ja noch nicht am Ende Ihres Lebens angekommen.
Wer weiß (lacht).
Wer weiß (lacht).
Es gibt eine gewisse Frauenphobie in Ihrer neuen Erzählung. Und einen vitalen Fluchtinstinkt des Autors und Helden.
Doch, ja, es ist eine Phobie, sicher. Ich glaube, ich habe sie noch nie so selbstkritisch erzählt wie dieses Mal. Aber wenn es so klar wäre, würde ich es ja nicht erzählen, sondern würde es nur hinstellen. Ich habe es aber erzählt.
Doch, ja, es ist eine Phobie, sicher. Ich glaube, ich habe sie noch nie so selbstkritisch erzählt wie dieses Mal. Aber wenn es so klar wäre, würde ich es ja nicht erzählen, sondern würde es nur hinstellen. Ich habe es aber erzählt.
„Ohne Begehren: auch nichts.“
Na, da ist manchmal ein Satz, der einen so anfliegt, und dann findet man den zugleich blöd und seltsam. Oder nehmen Sie den hier: „Ohne Frau ist es natürlich besser, aber falsch.“
Na, da ist manchmal ein Satz, der einen so anfliegt, und dann findet man den zugleich blöd und seltsam. Oder nehmen Sie den hier: „Ohne Frau ist es natürlich besser, aber falsch.“
Ist die Abwesenheit von Unglück besser als ein gefährdendes Glück?
Sie sehen das natürlich richtig.
Sie sehen das natürlich richtig.
Man kann sich doch eigentlich gar nicht dafür oder dagegen entscheiden, oder?
Na, eben nicht. Es ist halt ein typisches Selbstgespräch (lacht).
Na, eben nicht. Es ist halt ein typisches Selbstgespräch (lacht).
Schließen eine intensive Beziehung zu einer Frau und das Schreiben einander aus?
Ja, wer sagt denn, dass der Autor in der „Morawischen Nacht“ nicht mehr schreibt? Am Ende stellt sich etwas anderes heraus. Er hält sich für einen Schreibverweigerer und hat dennoch wie absichtslos ein Buch geschrieben.
Es ist ein Traum. Er hat eine Nacht lang etwas geträumt, woraus die lange Arbeit der Erzählung und das Buch entstanden ist. Aus dieser einen Nacht werden viele Tage der Arbeit.
Ja, wer sagt denn, dass der Autor in der „Morawischen Nacht“ nicht mehr schreibt? Am Ende stellt sich etwas anderes heraus. Er hält sich für einen Schreibverweigerer und hat dennoch wie absichtslos ein Buch geschrieben.
Es ist ein Traum. Er hat eine Nacht lang etwas geträumt, woraus die lange Arbeit der Erzählung und das Buch entstanden ist. Aus dieser einen Nacht werden viele Tage der Arbeit.
Ist das auch Koketterie? Die Möglichkeit des Nicht-Schreibens zumindest als Gedankenspiel in Betracht zu ziehen?
Nach den fast vierzig Jahren, die ich jetzt mit diesem herrlichen Beruf verbringe, kommt schon manchmal der Gedanke: Jetzt hast du alles sanft und kräftig umrissen, was du zu umreißen hattest im Leben. Jetzt geht es darum, es zum Auszuklingen zu bringen. Das hat nichts mit Koketterie zu tun. Das entsteht aus der Psychophysik, wie ich das nenne. Es kommen Fragen wie: Was willst du jetzt noch? Du wirst doch nicht um Gottes Willen auch noch eine Autobiographie loslassen? Ich habe schon noch etwas vor, aber ich glaube, „Die morawische Nacht“ war das letzte wirklich epische Unternehmen, in dem ich von einem Problem erzählen wollte: Was ist Schreiben? Was ist Lesen? Was sind Worte? So weiträumig, glaube ich, hat vielleicht nie vorher jemand diese Fragen bearbeitet.
Nach den fast vierzig Jahren, die ich jetzt mit diesem herrlichen Beruf verbringe, kommt schon manchmal der Gedanke: Jetzt hast du alles sanft und kräftig umrissen, was du zu umreißen hattest im Leben. Jetzt geht es darum, es zum Auszuklingen zu bringen. Das hat nichts mit Koketterie zu tun. Das entsteht aus der Psychophysik, wie ich das nenne. Es kommen Fragen wie: Was willst du jetzt noch? Du wirst doch nicht um Gottes Willen auch noch eine Autobiographie loslassen? Ich habe schon noch etwas vor, aber ich glaube, „Die morawische Nacht“ war das letzte wirklich epische Unternehmen, in dem ich von einem Problem erzählen wollte: Was ist Schreiben? Was ist Lesen? Was sind Worte? So weiträumig, glaube ich, hat vielleicht nie vorher jemand diese Fragen bearbeitet.
Wenn Sie wüssten, dass Sie in den nächsten zehn Jahren keine Zeile mehr schreiben, würden Sie anders durchs Leben gehen, weil sie nicht unwillkürlich die literarische Botanisiertrommel dabei haben?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist schon so, wie Goethe es gesagt hat – Schreiben ist Schmerz und Freude. Es ist für mich immer noch ein Tabu. Bevor ich mich an den Tisch setze, habe ich jeden Tag auch Mulmigkeit und Bangigkeit zu überwinden, bis ich mich dann endlich hinbequeme – ich gebe mir regelrecht einen Tritt. Andererseits: Wenn ich dann an dem Tisch sitze, kommt oft eine große, ungeheure Ruhe über mich, und ich denke: Ja, jetzt bin ich an meinem Platz, jetzt mache ich mich leben und vielleicht dichten.
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist schon so, wie Goethe es gesagt hat – Schreiben ist Schmerz und Freude. Es ist für mich immer noch ein Tabu. Bevor ich mich an den Tisch setze, habe ich jeden Tag auch Mulmigkeit und Bangigkeit zu überwinden, bis ich mich dann endlich hinbequeme – ich gebe mir regelrecht einen Tritt. Andererseits: Wenn ich dann an dem Tisch sitze, kommt oft eine große, ungeheure Ruhe über mich, und ich denke: Ja, jetzt bin ich an meinem Platz, jetzt mache ich mich leben und vielleicht dichten.
Es ist schwer vorstellbar, dass Sie diesen Platz freiwillig verlassen könnten.
Ich bin kein besessener Schreiber. Ich bin nicht getrieben. Über Erich Fried habe ich einmal gehört, dass er noch in der Agonie die Bewegungen ausführte, ein Blatt Papier zu bekritzeln. Mit Buchstaben, die nicht mehr leserlich waren. Dass er noch in diesem Zustand seine täglichen vier, fünf Gedichte geliefert hat, erfüllt mich mit Entsetzen. Ich möchte zu meinem Buch des Lebens kommen, das ich schreibe, weiterschreibe - ohne zu schreiben. Dass sich sozusagen alles, was ich geschrieben habe, im Wind und im Himmelblau und im Grün von diesem und jenem fortsetzt, ohne dass das Schreiben mir fehlt. Das wäre ein Ideal. Auch ohne zu schreiben, wäre ich immer noch der Schreiber.
Ich bin kein besessener Schreiber. Ich bin nicht getrieben. Über Erich Fried habe ich einmal gehört, dass er noch in der Agonie die Bewegungen ausführte, ein Blatt Papier zu bekritzeln. Mit Buchstaben, die nicht mehr leserlich waren. Dass er noch in diesem Zustand seine täglichen vier, fünf Gedichte geliefert hat, erfüllt mich mit Entsetzen. Ich möchte zu meinem Buch des Lebens kommen, das ich schreibe, weiterschreibe - ohne zu schreiben. Dass sich sozusagen alles, was ich geschrieben habe, im Wind und im Himmelblau und im Grün von diesem und jenem fortsetzt, ohne dass das Schreiben mir fehlt. Das wäre ein Ideal. Auch ohne zu schreiben, wäre ich immer noch der Schreiber.
Der vermeintliche „Autor-in-Ruhe“ in Ihrer Erzählung begegnet unter anderem einem Journalisten, der ihn wegen seines immer noch existenten Autorennimbus beneidet - und ihn verhöhnt.
Ja, die Figur des Autors ist ein bisschen gebrochen durch einen Journalisten, der sich belustigt über die Art des Schriftstellers oder Ex-Schriftstellers. Ich wollte das bewusst brechen, wollte den Schriftsteller schief gesehen werden lassen durch jemand anderen, der ihm nicht gut gesinnt ist, sodass wiederum der Leser sich seinen Teil denken kann.
Ja, die Figur des Autors ist ein bisschen gebrochen durch einen Journalisten, der sich belustigt über die Art des Schriftstellers oder Ex-Schriftstellers. Ich wollte das bewusst brechen, wollte den Schriftsteller schief gesehen werden lassen durch jemand anderen, der ihm nicht gut gesinnt ist, sodass wiederum der Leser sich seinen Teil denken kann.
Der erste Satz Ihrer „Selbstgespräche“ lautet: „Hier fließt das Wasser – was soll ich woanders?“, geschrieben wurde er an der Morawa, in Cuprija, am 27. April 2006. Auch Ihre Erzählung spielt an der Morawa. Sind Sie in letzter Zeit da gewesen?
Der Balkan ist ein Land der Flüsse, und mir ist das Flussland sehr nahe. Ich erkläre das immer mit einer Banalität: Ich bin Schütze, ein Feuerzeichen, wie man sagt, und ich habe Wasser nötig, fließendes Wasser, das tut mir gut. Dies ist eine hanebüchene Erklärung, die ich an den Haaren herbeigezogen habe.
Der Balkan ist ein Land der Flüsse, und mir ist das Flussland sehr nahe. Ich erkläre das immer mit einer Banalität: Ich bin Schütze, ein Feuerzeichen, wie man sagt, und ich habe Wasser nötig, fließendes Wasser, das tut mir gut. Dies ist eine hanebüchene Erklärung, die ich an den Haaren herbeigezogen habe.
Hört sich ganz danach an. Der Autor der Erzählung sucht das Balkanische auf einer Reise quer durch Europa – nachdem er es an der Morawa zurückgelassen hat. Was ist dieses Balkanische? Suchen auch Sie es?
Ja, das Balkanische zieht mich an - das Unregulierte. Diese ganze begradigte, gesäuberte Welt, in der wir wie im Film leben - ich rede jetzt nicht von einer Vorliebe zu umgestürzten Mülltonnen – ist deprimierend. Das spricht doch nicht zur Seele. Wenn Sie aber eine Grube mit Schlamm sehen, und es liegt ein Schuh drinnen, so ist das sicher etwas Trauriges. Es könnte zum Beispiel der Schuh eines Geflüchteten sein. Jedenfalls stachelt solch ein Anblick dazu an, die Wirklichkeit zu erforschen. Ich will ja nicht den Balkan mythologisieren, um Gottes Willen. Balkan ist überall, und Balkan kann furchtbar sein, doch Balkan kann auf der anderen Seite auch eine Glocke anschlagen, eine Erfahrung, durch die das innere Auge sich aufschlägt. Und das innere Ohr endlich zu hören beginnt. Das ist eine große Glocke, die aus vielen kleinen Gegenständen besteht.
Ja, das Balkanische zieht mich an - das Unregulierte. Diese ganze begradigte, gesäuberte Welt, in der wir wie im Film leben - ich rede jetzt nicht von einer Vorliebe zu umgestürzten Mülltonnen – ist deprimierend. Das spricht doch nicht zur Seele. Wenn Sie aber eine Grube mit Schlamm sehen, und es liegt ein Schuh drinnen, so ist das sicher etwas Trauriges. Es könnte zum Beispiel der Schuh eines Geflüchteten sein. Jedenfalls stachelt solch ein Anblick dazu an, die Wirklichkeit zu erforschen. Ich will ja nicht den Balkan mythologisieren, um Gottes Willen. Balkan ist überall, und Balkan kann furchtbar sein, doch Balkan kann auf der anderen Seite auch eine Glocke anschlagen, eine Erfahrung, durch die das innere Auge sich aufschlägt. Und das innere Ohr endlich zu hören beginnt. Das ist eine große Glocke, die aus vielen kleinen Gegenständen besteht.
Es gibt mehrere Szenen, noch in der Nähe der Morawa, in denen der Bus des Reisenden von Kleinkindern mit Steinen beworfen wird. Schon im „Bildverlust“ gab es Szenen mit steinewerfenden Kindern.
Kann sein, kann sein, dann wiederhole ich mich – nicht zu fassen.
Kann sein, kann sein, dann wiederhole ich mich – nicht zu fassen.
Das Bild scheint vielmehr immer noch präsent zu sein. Ist das auch heute Ihre Erfahrung im Kosovo? Dieser Hass, der den Kindern mit der Muttermilch eingegeben wird?
Das ist gleich geblieben. Nur im Moment werden wahrscheinlich aus bestimmten Gründen - ich muss jetzt lachen - die Kinder in die Häuser gesperrt, damit sie ein bisschen abwarten mit dem Steinewerfen. Damit ist ja gar nichts gegen ein bestimmtes Volks gesagt. Es ist nur eine gewisse Traurigkeit da, dass Eltern und Großeltern es nicht schaffen, den Hass abzuwenden, sodass schon in den Zweijährigen dieser Steinwurfdrang steckt, der, scheint es, geduldet wird.
Das ist gleich geblieben. Nur im Moment werden wahrscheinlich aus bestimmten Gründen - ich muss jetzt lachen - die Kinder in die Häuser gesperrt, damit sie ein bisschen abwarten mit dem Steinewerfen. Damit ist ja gar nichts gegen ein bestimmtes Volks gesagt. Es ist nur eine gewisse Traurigkeit da, dass Eltern und Großeltern es nicht schaffen, den Hass abzuwenden, sodass schon in den Zweijährigen dieser Steinwurfdrang steckt, der, scheint es, geduldet wird.
Sehen Sie kein Zeichen der Normalisierung im Kosovo?
Jetzt fragen Sie mich politisch, und was die aktuelle Politik betrifft, fühle ich mich nicht zuständig.
Jetzt fragen Sie mich politisch, und was die aktuelle Politik betrifft, fühle ich mich nicht zuständig.
In der Erzählung wird geschildert, dass die Serben in ihren Enklaven wie in Gefängnissen leben. Dass sie ihre Felder nicht bestellen können, ohne beschossen zu werden, dass sie ihre Toten im Dorf begraben müssen, weil die Gräber außerhalb der Dorfmauern zerstört werden. Das klingt nicht gerade nach Normalität.
Ich kann sicher sein, und Ihr Wort in Gottes Ohr, dass es sich normalisiert - was auch immer „normalisiert“ bedeutet...
Ich kann sicher sein, und Ihr Wort in Gottes Ohr, dass es sich normalisiert - was auch immer „normalisiert“ bedeutet...
...ein für alle erträglicher modus vivendi unter Bedingungen, die diktiert wurden und daher auch problematisch sind.
Tragisch bleibt auf jeden Fall, was geschehen ist und was geschehen soll. Die Tragödie wird weitergehen. Sie wird nur ihre Gewichte verlagern. Und das scheint das Gesetz der Geschichte zu sein, zumindest auf dem Balkan.
Tragisch bleibt auf jeden Fall, was geschehen ist und was geschehen soll. Die Tragödie wird weitergehen. Sie wird nur ihre Gewichte verlagern. Und das scheint das Gesetz der Geschichte zu sein, zumindest auf dem Balkan.
Fahren Sie regelmäßig hin?
Natürlich, ja, so zwei-, dreimal im Jahr. Ich möchte mehr allein sein. In den letzten Jahren bin ich immer häufiger allein dort gewesen und sehr viel gewandert. Es gibt einen Bergzug in der Nähe von Belgrad, Fruška Gora, wo sehr viele Klöster sind, und dann gibt es eine Landschaft in der Mitte Serbiens, die einen sehr schönen Namen hat: Sumadija. Suma ist das serbische Wort für Wald. (Anmerkung: Auf dem S muss ein kleines v-Zeichen stehen) Dort bin ich sehr oft gewandert und habe viel erlebt, was nicht schlimm war.
Natürlich, ja, so zwei-, dreimal im Jahr. Ich möchte mehr allein sein. In den letzten Jahren bin ich immer häufiger allein dort gewesen und sehr viel gewandert. Es gibt einen Bergzug in der Nähe von Belgrad, Fruška Gora, wo sehr viele Klöster sind, und dann gibt es eine Landschaft in der Mitte Serbiens, die einen sehr schönen Namen hat: Sumadija. Suma ist das serbische Wort für Wald. (Anmerkung: Auf dem S muss ein kleines v-Zeichen stehen) Dort bin ich sehr oft gewandert und habe viel erlebt, was nicht schlimm war.
Was nicht schlimm war?
… was halt das Leben war – Bilder, Bildchen, wie die Griechen deshalb sagen: eidola, kleine Bildchen, die am meisten bewirken, nicht die Bilder im Fernseher. Ich könnte noch tausend Dinge erzählen, aber lassen Sie uns nicht so sehr auf ideologisches Terrain gehen.
… was halt das Leben war – Bilder, Bildchen, wie die Griechen deshalb sagen: eidola, kleine Bildchen, die am meisten bewirken, nicht die Bilder im Fernseher. Ich könnte noch tausend Dinge erzählen, aber lassen Sie uns nicht so sehr auf ideologisches Terrain gehen.
Beobachten Sie dort gern Menschen?
Ich beobachte nicht.
Ich beobachte nicht.
Nein?
Für mich ist Schauen Zufall. Aber Schauen ist das Erste, womit man sich die Welt erobert. Durch Anschauung wird man Welteroberer. Ich verwende gern das arabische Wort „Mushahada“. Das ist es: Aus der Anschauung entsteht alles.
Für mich ist Schauen Zufall. Aber Schauen ist das Erste, womit man sich die Welt erobert. Durch Anschauung wird man Welteroberer. Ich verwende gern das arabische Wort „Mushahada“. Das ist es: Aus der Anschauung entsteht alles.
In der „Morawischen Nacht“ wird über die Menschen im Kosovo gesagt, dass sie dieses Schauen verlernt hätten.
Ich habe keine Ahnung, weil ich mich an vieles, was ich wahrscheinlich geschrieben habe, nicht mehr erinnere.
Ich habe keine Ahnung, weil ich mich an vieles, was ich wahrscheinlich geschrieben habe, nicht mehr erinnere.
Es geht dabei um einen Verlust, darum, dass eine gewisse Art von Hinschauen verschwindet, das zuvor offenbar ein Charakteristikum der Menschen des Balkan war, etwas typisch „Balkanesisches“, wie Sie schreiben….
… sagen Sie ruhig „balkanesisch“, natürlich. Und das ist ja nicht nur ein Balkan-Phänomen. Es ist auch mein eigener Mangel: Ich bedauere es, wenn ich am Tag nicht „ins Schauen gekommen bin“, wie die deutsche Sprache so schön sagt: „Ich bin gegangen und ins Schauen gekommen.“ Und dann wieder aus dem Schauen, da sagt die deutsche Sprache: „Ich bin aus dem Schauen nicht mehr heraus gekommen.“ Das wäre ein Ideal, nicht wahr? Aber so gesund bleibt man nicht bis zum Tode.
… sagen Sie ruhig „balkanesisch“, natürlich. Und das ist ja nicht nur ein Balkan-Phänomen. Es ist auch mein eigener Mangel: Ich bedauere es, wenn ich am Tag nicht „ins Schauen gekommen bin“, wie die deutsche Sprache so schön sagt: „Ich bin gegangen und ins Schauen gekommen.“ Und dann wieder aus dem Schauen, da sagt die deutsche Sprache: „Ich bin aus dem Schauen nicht mehr heraus gekommen.“ Das wäre ein Ideal, nicht wahr? Aber so gesund bleibt man nicht bis zum Tode.
Dieses Schauen hat etwas Entgrenztes, so wie Sie es in Ihrem „Versuch über die Müdigkeit“ beschrieben haben, eine Absichtslosigkeit.
Nur so geht es, es gibt ja nicht umsonst den Spruch: Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Schauen Sie, das ist ganz praktisch. Wenn ich in den Wald gehe, ich sage immer „in die Wälder“, denn es gibt so verschiedene hier rund um Paris, dann komme ich leicht in Versuchung zu suchen – das ist ein blödes Wortspiel -, und das schränkt mich ein, dieses Suchen.
Nur so geht es, es gibt ja nicht umsonst den Spruch: Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Schauen Sie, das ist ganz praktisch. Wenn ich in den Wald gehe, ich sage immer „in die Wälder“, denn es gibt so verschiedene hier rund um Paris, dann komme ich leicht in Versuchung zu suchen – das ist ein blödes Wortspiel -, und das schränkt mich ein, dieses Suchen.
Was suchen Sie?
Ob das nun Pilze oder Beeren sind oder eine Falkenfeder, oder überhaupt eine Feder, vielleicht eine Rabenfeder, die blau schillert.
Ob das nun Pilze oder Beeren sind oder eine Falkenfeder, oder überhaupt eine Feder, vielleicht eine Rabenfeder, die blau schillert.
Sie leben seit vielen Jahren hier in Chaville, der Balkan aber scheint für Sie eine ungeheure Magie zu haben.
Ja, die Loire hätte mich vermutlich nicht auf den Fantasiesprung gebracht. Nehmen Sie allein schon das Wort „Morawa“ und „Die morawische Nacht“ – sehr viel hängt ja vom Klang der Silben und auch von Namen ab. Hinzu kommt: Ich kenne die Flusslandschaft der Morawa sehr gut, ich habe sie nicht gerade „durchwandert“, das ist ein furchtbarer Ausdruck, aber ich bin viel hin und her gereist in dieser Landschaft. Das hat mich sehr gereizt. Es ist mir fremder, es ist unzivilisierter, ruppiger, als Landschaft, aber auch als Menschentum. Schon in meinem ersten Buch „Die Hornissen“ steht: „Heiß macht ihn immer, was er nicht weiß.“ Also nicht: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Nein, umgekehrt: „Was ich nicht weiß, macht mich heiß.“ Ich weiß zu viel von hier, vom westlichen Europa. Meine präzise Tagesfantasie, Tagtraumfantasie, was ja Schreiben ist, die gegliederten Tagtraumfantasien in mir, mit Fluggang in die Tiefe, können hier nicht entstehen.
Ja, die Loire hätte mich vermutlich nicht auf den Fantasiesprung gebracht. Nehmen Sie allein schon das Wort „Morawa“ und „Die morawische Nacht“ – sehr viel hängt ja vom Klang der Silben und auch von Namen ab. Hinzu kommt: Ich kenne die Flusslandschaft der Morawa sehr gut, ich habe sie nicht gerade „durchwandert“, das ist ein furchtbarer Ausdruck, aber ich bin viel hin und her gereist in dieser Landschaft. Das hat mich sehr gereizt. Es ist mir fremder, es ist unzivilisierter, ruppiger, als Landschaft, aber auch als Menschentum. Schon in meinem ersten Buch „Die Hornissen“ steht: „Heiß macht ihn immer, was er nicht weiß.“ Also nicht: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Nein, umgekehrt: „Was ich nicht weiß, macht mich heiß.“ Ich weiß zu viel von hier, vom westlichen Europa. Meine präzise Tagesfantasie, Tagtraumfantasie, was ja Schreiben ist, die gegliederten Tagtraumfantasien in mir, mit Fluggang in die Tiefe, können hier nicht entstehen.
Das Fremde lässt ihnen mehr Freiheit?
Was ich nicht weiß, kann ich erfinden. So habe ich es immer gemacht. All meine Bücher handeln ja in der Zukunft – den „Kurzen Brief zum langen Abschied“ habe ich mit 26 geschrieben, und in dem Buch feiere ich meinen 30. Geburtstag. „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ beginnt 1997, geschrieben habe ich das Buch 1993. Nur in der Geschichte von meiner Mutter, „Wunschloses Unglück“, habe ich etwas beschrieben, was war. Das fiel mir unglaublich schwer, mir kam es fast unliterarisch vor. Ich kann im Grunde nicht beschreiben, was war, nur in die Zukunft projizieren. Bei der Geschichte „Die morawische Nacht“ habe ich mir vorgestellt: Wie könnte es in zehn Jahren dort sein? Dort an der Morawa und auch anderswo ist nach dem Balkan-Krieg alles ein bisschen verschwommen. Das bringt mich auf die Sprünge.
Was ich nicht weiß, kann ich erfinden. So habe ich es immer gemacht. All meine Bücher handeln ja in der Zukunft – den „Kurzen Brief zum langen Abschied“ habe ich mit 26 geschrieben, und in dem Buch feiere ich meinen 30. Geburtstag. „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ beginnt 1997, geschrieben habe ich das Buch 1993. Nur in der Geschichte von meiner Mutter, „Wunschloses Unglück“, habe ich etwas beschrieben, was war. Das fiel mir unglaublich schwer, mir kam es fast unliterarisch vor. Ich kann im Grunde nicht beschreiben, was war, nur in die Zukunft projizieren. Bei der Geschichte „Die morawische Nacht“ habe ich mir vorgestellt: Wie könnte es in zehn Jahren dort sein? Dort an der Morawa und auch anderswo ist nach dem Balkan-Krieg alles ein bisschen verschwommen. Das bringt mich auf die Sprünge.
Es fällt im Zusammenhang mit den Menschen dort auch das Wort Trotz. Trotz als letztes Refugium von Stärke, von Einstimmigkeit…
Trotz ist ein Wort aus der Türken-Zeit. Jetzt muss ich doch einmal das Wort „Serben“ aussprechen, das ich in dem ganzen Buch vermieden habe: Der Trotz ist ein Überbleibsel der Oberherrschaft der Türken über die Serben. Vierhundert Jahre lang hat diese Herrschaft gedauert. Das Wort „Inat“, Trotz, ist ein türkisch-arabisches Wort. Die Türken haben das von ihnen unterdrückte und objektiv beherrschte Volk ein Volk des „Inat“, des Trotzes genannt. Und die Serben - das ist das letzte Mal, dass ich das Wort „Serben“ benutze - die Serben haben das dann umgedreht und gesagt: Ja, wir sind die Macht, wir sind das trotzige Volk.
Trotz ist ein Wort aus der Türken-Zeit. Jetzt muss ich doch einmal das Wort „Serben“ aussprechen, das ich in dem ganzen Buch vermieden habe: Der Trotz ist ein Überbleibsel der Oberherrschaft der Türken über die Serben. Vierhundert Jahre lang hat diese Herrschaft gedauert. Das Wort „Inat“, Trotz, ist ein türkisch-arabisches Wort. Die Türken haben das von ihnen unterdrückte und objektiv beherrschte Volk ein Volk des „Inat“, des Trotzes genannt. Und die Serben - das ist das letzte Mal, dass ich das Wort „Serben“ benutze - die Serben haben das dann umgedreht und gesagt: Ja, wir sind die Macht, wir sind das trotzige Volk.
Sie haben aus der Beschimpfung eine Tugend gemacht.
In diesem Sinne, ja. Vor fünfzehn Jahren, als es zu den Kriegen kam, haben die westlichen Medien von diesem „Inat“ gehört und es wiederum umgedreht. Nun wurde es wieder in der ersten, ursprünglichen Bedeutung verwendet, die es während der Türken-Herrschaft hatte. Es ist eine interessante Geschichte. Ein schönes Wort – „Inat“. Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich ihn Inat nennen.
In diesem Sinne, ja. Vor fünfzehn Jahren, als es zu den Kriegen kam, haben die westlichen Medien von diesem „Inat“ gehört und es wiederum umgedreht. Nun wurde es wieder in der ersten, ursprünglichen Bedeutung verwendet, die es während der Türken-Herrschaft hatte. Es ist eine interessante Geschichte. Ein schönes Wort – „Inat“. Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich ihn Inat nennen.
Warum verwenden Sie das Wort „Serben“ so vorsichtig? Sind Sie dieser ganzen Diskussion müde?
Ich war der Diskussion schon von Anfang an müde. Ich wollte nie diskutieren, ich wollte einfach darstellen, was es dort noch anderes zu sehen gibt - etwas, das vielleicht genauso bezeichnend ist, oder: anders zu bezeichnen ist.
Ich war der Diskussion schon von Anfang an müde. Ich wollte nie diskutieren, ich wollte einfach darstellen, was es dort noch anderes zu sehen gibt - etwas, das vielleicht genauso bezeichnend ist, oder: anders zu bezeichnen ist.
Das heißt, Sie ziehen sich jetzt aus der Debatte zurück?
Na, Frau Eichel, ich habe vor ein paar Tagen der spanischen Tageszeitung El Mundo ein Interview gegeben, das geharnischt war, was den Kosovo betrifft. Wenn es um so etwas geht, dann können Sie von mir schon Überraschungen erwarten. Nicht nur, wenn ich getrunken habe: Da hatte ich keinen Tropfen gesehen, aber schon ordentlich losgelegt.
Na, Frau Eichel, ich habe vor ein paar Tagen der spanischen Tageszeitung El Mundo ein Interview gegeben, das geharnischt war, was den Kosovo betrifft. Wenn es um so etwas geht, dann können Sie von mir schon Überraschungen erwarten. Nicht nur, wenn ich getrunken habe: Da hatte ich keinen Tropfen gesehen, aber schon ordentlich losgelegt.
Der Zorn ist noch da?
Die eigentliche Debatte hat es ja nie gegeben. Wenn es sein müsste, würde ich noch härtere Worte und Wörter gebrauchen. Aber der Zorn kommt und geht. Was bleibt, ist die Wut. Die deutsche Sprache sagt nicht umsonst: „Der Zorn verraucht.“ Stimmt. Der Zorn verraucht, aber das Feuer bleibt (lacht).
Die eigentliche Debatte hat es ja nie gegeben. Wenn es sein müsste, würde ich noch härtere Worte und Wörter gebrauchen. Aber der Zorn kommt und geht. Was bleibt, ist die Wut. Die deutsche Sprache sagt nicht umsonst: „Der Zorn verraucht.“ Stimmt. Der Zorn verraucht, aber das Feuer bleibt (lacht).
„Früh irrt sich, wer ein Meister werden will.“ Muss man sich erst einmal irren, um ein Meister zu werden?
Ja, das ist ein präsokratischer Satz und mehr als nur ein dummes Wortspiel. Wenn ich jemals eine Autobiographie schreibe, dann unter dem Gesichtspunkt, dass ich alle meine Irrtümer, alles, was ich falsch gesehen, falsch gehört, auch verwechselt habe, benenne. Aus diesem Mich-geirrt-haben in einem Blick oder einem Geräusch sind oft erst die richtigen Blicke entstanden. Ich habe manchmal etwas Falsches geschrieben, also etwas, was den Tatsachen nicht entspricht – dieser Baum sieht so und so aus, oder dieser Apfel so und so, diese Augen haben diese und diese Farbe. Im Nachhinein dann, als ich wieder vor dem Baum oder vor dem Apfel oder vor diesen Augen mich befand, habe ich gesehen, dass ich mich geirrt hatte. Und in diesem Moment erst habe ich wirklich etwas gelernt. Es gibt ja das berühmte Prinzip des „trial and error“. Es ist einer der schönsten Vorgänge, zu sehen, wie etwas wirklich aussieht, wenn man sich zunächst einmal geirrt hat.
Ja, das ist ein präsokratischer Satz und mehr als nur ein dummes Wortspiel. Wenn ich jemals eine Autobiographie schreibe, dann unter dem Gesichtspunkt, dass ich alle meine Irrtümer, alles, was ich falsch gesehen, falsch gehört, auch verwechselt habe, benenne. Aus diesem Mich-geirrt-haben in einem Blick oder einem Geräusch sind oft erst die richtigen Blicke entstanden. Ich habe manchmal etwas Falsches geschrieben, also etwas, was den Tatsachen nicht entspricht – dieser Baum sieht so und so aus, oder dieser Apfel so und so, diese Augen haben diese und diese Farbe. Im Nachhinein dann, als ich wieder vor dem Baum oder vor dem Apfel oder vor diesen Augen mich befand, habe ich gesehen, dass ich mich geirrt hatte. Und in diesem Moment erst habe ich wirklich etwas gelernt. Es gibt ja das berühmte Prinzip des „trial and error“. Es ist einer der schönsten Vorgänge, zu sehen, wie etwas wirklich aussieht, wenn man sich zunächst einmal geirrt hat.
Sind Fehler unerlässlich?
Ja, zum Beispiel falsch anzufangen. Als ich die Geschichte „Der kurze Brief zum langen Abschied“ schrieb, war das eine Zeit, als das Erzählen eigentlich lächerlich geworden war, „obsolet“, würde man heute sagen. Nach all den Jahren kann man sich das kaum noch vorstellen. Und ich habe angefangen mit dem Satz: „Die Jefferson Street ist eine stille Straße in Providence. Als ich Ende April dort ankam...“ – dann habe ich gedacht: Das geht doch überhaupt nicht!
Ja, zum Beispiel falsch anzufangen. Als ich die Geschichte „Der kurze Brief zum langen Abschied“ schrieb, war das eine Zeit, als das Erzählen eigentlich lächerlich geworden war, „obsolet“, würde man heute sagen. Nach all den Jahren kann man sich das kaum noch vorstellen. Und ich habe angefangen mit dem Satz: „Die Jefferson Street ist eine stille Straße in Providence. Als ich Ende April dort ankam...“ – dann habe ich gedacht: Das geht doch überhaupt nicht!
Es wirkte sicher provozierend konventionell...
Ich dachte: Das ist ja total falsch! Aber gerade, indem ich weiter machte mit diesem Falschen, habe ich vieles entdeckt. Wenn ich „richtig“ angefangen hätte, wäre ich nie darauf gekommen. Durch das falsche Anfangen bin ich zu einem richtigen Ende gekommen, zum wahren Ende, zum wahrhaftigen. Hätte ich richtig angefangen, wäre ich nirgends hingekommen, oder ich hätte, was noch schlimmer gewesen wäre, falsch aufgehört. Mir kommt es heute so vor, dass sehr viele Bücher richtig anfangen, aber völlig falsch aufhören. Das ist meine Doktrin, das können Sie als die Handke-Doktrin weitergeben: Man muss falsch anfangen!
Ich dachte: Das ist ja total falsch! Aber gerade, indem ich weiter machte mit diesem Falschen, habe ich vieles entdeckt. Wenn ich „richtig“ angefangen hätte, wäre ich nie darauf gekommen. Durch das falsche Anfangen bin ich zu einem richtigen Ende gekommen, zum wahren Ende, zum wahrhaftigen. Hätte ich richtig angefangen, wäre ich nirgends hingekommen, oder ich hätte, was noch schlimmer gewesen wäre, falsch aufgehört. Mir kommt es heute so vor, dass sehr viele Bücher richtig anfangen, aber völlig falsch aufhören. Das ist meine Doktrin, das können Sie als die Handke-Doktrin weitergeben: Man muss falsch anfangen!
Sind diese vermeintlich richtigen Anfänge auch eine Folge der modisch gewordenen Schreibschulen?
Ich denke, das ist das Entsetzliche daran.
Ich denke, das ist das Entsetzliche daran.
Halten Sie das für eine zunehmende Amerikanisierung des Schreibens?
Ich habe überhaupt nichts gegen amerikanisches Schreiben, aber es ist der Tod des Schreibens, auf andere Weise. Es kommt nichts dabei heraus. Die Begabtesten bleiben zwar begabt, trotz dieser Schulen, aber sie machen halt nichts falsch. Die Absätze stimmen, der Rhythmus der Sätze ist richtig – aber wo bleibt das Stammeln, wo bleibt das Suchen, wo bleibt das Zittern der Sätze, das Abstürzen? Nur das ist Literatur. Ich merke sofort, nach drei, vier Sätzen: Ah, das zittert. Aber das geht mir nur noch sehr selten so. Einer der scheußlichsten Anfänge, die ich je las - ich habe nicht viel weiter gelesen - lautet: „Mein Vater war eine Sturzgeburt“. So begann eine österreichischen Schriftstellerin ihren Roman. Da habe ich gedacht: Wenn ich die erwische….
Ich habe überhaupt nichts gegen amerikanisches Schreiben, aber es ist der Tod des Schreibens, auf andere Weise. Es kommt nichts dabei heraus. Die Begabtesten bleiben zwar begabt, trotz dieser Schulen, aber sie machen halt nichts falsch. Die Absätze stimmen, der Rhythmus der Sätze ist richtig – aber wo bleibt das Stammeln, wo bleibt das Suchen, wo bleibt das Zittern der Sätze, das Abstürzen? Nur das ist Literatur. Ich merke sofort, nach drei, vier Sätzen: Ah, das zittert. Aber das geht mir nur noch sehr selten so. Einer der scheußlichsten Anfänge, die ich je las - ich habe nicht viel weiter gelesen - lautet: „Mein Vater war eine Sturzgeburt“. So begann eine österreichischen Schriftstellerin ihren Roman. Da habe ich gedacht: Wenn ich die erwische….
Verraten Sie mir, wie das Buch heißt?
Nein, ich sage nicht den Namen. Das ist keine Österreicherin. Ich habe gedacht: Die kriegt von mir was zu hören. Nein, diese Schule der Sätze und die Regeln, wie man etwa die Charaktere entwickeln soll, ist furchtbar. Kein Mensch, der wirklich Leser ist, interessiert sich noch für solche Charaktere. Lesen ist etwas viel Spannenderes, Lesen ist etwas Verschlungenes. Der Leser muss bereit sein, auf eine Expedition zu gehen. Es ist ein Unsinn zu sagen: „Dieses Buch verlangt aber Geduld!“ Nein, ein Buch, das wirklich ein Buch ist, erzeugt Geduld. Das ist das Herrliche an dem, was wahrscheinlich immer selten war, und das man Literatur nennt.
Nein, ich sage nicht den Namen. Das ist keine Österreicherin. Ich habe gedacht: Die kriegt von mir was zu hören. Nein, diese Schule der Sätze und die Regeln, wie man etwa die Charaktere entwickeln soll, ist furchtbar. Kein Mensch, der wirklich Leser ist, interessiert sich noch für solche Charaktere. Lesen ist etwas viel Spannenderes, Lesen ist etwas Verschlungenes. Der Leser muss bereit sein, auf eine Expedition zu gehen. Es ist ein Unsinn zu sagen: „Dieses Buch verlangt aber Geduld!“ Nein, ein Buch, das wirklich ein Buch ist, erzeugt Geduld. Das ist das Herrliche an dem, was wahrscheinlich immer selten war, und das man Literatur nennt.
Für solch ein geduldiges Lesen braucht man möglicherweise auch kontemplative Zurückgezogenheit. Sie haben mal gesagt, dass das Lesen in der Öffentlichkeit eigentlich etwas Obszönes habe.
Ich saß einmal im Flugzeug nach Edinburgh, in dem alle Dan Brown lasen. Es waren alles alte Menschen. Und ich dachte: Schämt ihr euch nicht? Es war eine greise Gruppe, die vermutlich gerade vom Vatikan kam und in Paris zwischengelandet war. Nein, ich habe kein Vertrauen zum öffentlich Lesen. In Frankreich ist das üblich, zum Beispiel in der Metro. Aber dann denke ich immer: Man kann nicht in der U-Bahn lesen, das geht nicht. Ich selbst konnte schon als Kind nie im Omnibus lesen, wenn ich von der Schule nach Hause fuhr. Außerdem wurde mir dann schwindelig dabei. Ich meine, was wird da gelesen? In einem Bestseller liest man ständig. Es muss ja auch nichts Schlechtes sein - ich will keine Polemik.
Ich saß einmal im Flugzeug nach Edinburgh, in dem alle Dan Brown lasen. Es waren alles alte Menschen. Und ich dachte: Schämt ihr euch nicht? Es war eine greise Gruppe, die vermutlich gerade vom Vatikan kam und in Paris zwischengelandet war. Nein, ich habe kein Vertrauen zum öffentlich Lesen. In Frankreich ist das üblich, zum Beispiel in der Metro. Aber dann denke ich immer: Man kann nicht in der U-Bahn lesen, das geht nicht. Ich selbst konnte schon als Kind nie im Omnibus lesen, wenn ich von der Schule nach Hause fuhr. Außerdem wurde mir dann schwindelig dabei. Ich meine, was wird da gelesen? In einem Bestseller liest man ständig. Es muss ja auch nichts Schlechtes sein - ich will keine Polemik.
Im „Selbstportrait aus unwillkürlichen Selbstgesprächen“ hat man den Eindruck, dass „es“ permanent in Ihnen denkt und formuliert.
Ich habe keinen Formulierungszwang - was ja schon der Zusatz „unwillkürliche“ Selbstgesprächen zeigt. Ich werde davon angeweht, von innen oder von außen her, oder von beidem? Außerdem bin ich ziemlich trainiert über die Jahrzehnte, sodass ich kurz und knapp denke. Was ich da unwillkürlich gedacht habe, hat eine seltsame Form, ohne dass ich auch nur den Willen oder eine Formulierungsvorstellung hätte. Das notiere ich mir, und das tut mir gut. Ich finde diese Sätze manchmal vor wie eine Nachricht, und dann denke ich: Seltsam, diese Form oder diese Figur eines Satzes hat es noch nie gegeben. Es wäre schade, wenn das, was mich anfliegt, wieder von mir wegfliegt - und so wird es sacht festgehalten, ohne dass ich es gefangen nehme.
Ich habe keinen Formulierungszwang - was ja schon der Zusatz „unwillkürliche“ Selbstgesprächen zeigt. Ich werde davon angeweht, von innen oder von außen her, oder von beidem? Außerdem bin ich ziemlich trainiert über die Jahrzehnte, sodass ich kurz und knapp denke. Was ich da unwillkürlich gedacht habe, hat eine seltsame Form, ohne dass ich auch nur den Willen oder eine Formulierungsvorstellung hätte. Das notiere ich mir, und das tut mir gut. Ich finde diese Sätze manchmal vor wie eine Nachricht, und dann denke ich: Seltsam, diese Form oder diese Figur eines Satzes hat es noch nie gegeben. Es wäre schade, wenn das, was mich anfliegt, wieder von mir wegfliegt - und so wird es sacht festgehalten, ohne dass ich es gefangen nehme.
Es hat zuweilen eine skurrile Komik, wenn Sie in einen inneren Dialog mit den Dingen geraten, mit einer nahezu animistischen Wahrnehmung. - „Bist auch verhungert?“ (zu der toten Spinne, vertrocknet im eigenen Netz) - Empfinden Sie so etwas unwillkürlich?
Ja, das kommt vor, im Guten wie im Bösen, eben wie Sie es zitiert haben. Dass man ein Schuhband, das reißt, beschimpft, oder dass man eine Wolke duzt – es kommt vor, ohne dass man es will. Vielleicht ist das ein Überbleibsel aus der Kindheit, wo auch alles belebt scheint. Es kommt sogar vor bei diesen Selbstgesprächen, dass man sich selbst maßregelt und sich selbst beschimpft. Oder dass man in ein Zwiegespräch mit seinen Verstorbenen gerät. Was da tagsüber in einem vor sich geht, ist sehr seltsam. Im Grunde ist der Mensch noch längst nicht erforscht.
Ja, das kommt vor, im Guten wie im Bösen, eben wie Sie es zitiert haben. Dass man ein Schuhband, das reißt, beschimpft, oder dass man eine Wolke duzt – es kommt vor, ohne dass man es will. Vielleicht ist das ein Überbleibsel aus der Kindheit, wo auch alles belebt scheint. Es kommt sogar vor bei diesen Selbstgesprächen, dass man sich selbst maßregelt und sich selbst beschimpft. Oder dass man in ein Zwiegespräch mit seinen Verstorbenen gerät. Was da tagsüber in einem vor sich geht, ist sehr seltsam. Im Grunde ist der Mensch noch längst nicht erforscht.
Haben diese sich unwillkürlich formenden Sätze entfernte Ähnlichkeit mit dem „stream of consciousness“?
Die Holzschnitte von Hokusai aus dem 19. Jahrhundert hießen „Bilder der flüchtigen Welt“, das war das Motto. Und im Grunde könnten all diese kleinen Sätze „Sätzchen der flüchtig Vorbeiziehenden“ heißen. Es ist überhaupt kein Ehrgeiz dahinter.
Die Holzschnitte von Hokusai aus dem 19. Jahrhundert hießen „Bilder der flüchtigen Welt“, das war das Motto. Und im Grunde könnten all diese kleinen Sätze „Sätzchen der flüchtig Vorbeiziehenden“ heißen. Es ist überhaupt kein Ehrgeiz dahinter.
Ein Zwiegespräch betrifft Ihre Mutter: „Ja, Mutter.“ Oder: „Mutter, mache ich dir Schande?“
Das wird wohl seinen Grund gehabt haben. Es ist sicher eine Art Ahnenkult, den ich betreibe, ab und zu auch in der „Morawischen Nacht“. Aber dieser Ahnenkult ist materiell. Ich kann Inspiration, Materie und Form nicht trennen, so wie auch Materialismus und Spiritualismus für mich zusammen gehören. Deswegen ist das Christentum für mich eine Materie-Religion. Wenn jemand die Evangelien gelesen hat, wenn er selber aufmerksam ist auf sein Leben und das Leben anderer, wenn eine Wunde offen ist - dann wird er sehen, dass das Evangelium Materie ist. Und so ist auch mein mich gelegentlich anfliegender Ahnenkult Materie.
Das wird wohl seinen Grund gehabt haben. Es ist sicher eine Art Ahnenkult, den ich betreibe, ab und zu auch in der „Morawischen Nacht“. Aber dieser Ahnenkult ist materiell. Ich kann Inspiration, Materie und Form nicht trennen, so wie auch Materialismus und Spiritualismus für mich zusammen gehören. Deswegen ist das Christentum für mich eine Materie-Religion. Wenn jemand die Evangelien gelesen hat, wenn er selber aufmerksam ist auf sein Leben und das Leben anderer, wenn eine Wunde offen ist - dann wird er sehen, dass das Evangelium Materie ist. Und so ist auch mein mich gelegentlich anfliegender Ahnenkult Materie.
Sie haben sich intensiv mit der Bibel auseinandergesetzt…
Bevor ich hier in das Haus gezogen bin, habe ich die ganze Heilige Schrift, von Alpha bis Omega, auf griechisch gelesen. Ich habe lange Jahre griechisch gelernt und auch ein bisschen aus dem Altgriechischen übersetzt, Aischylos und Sophokles. Die Bibel habe ich dann Wort für Wort mit einem Wörterbuch gelesen – die Notizbücher dieser Jahre 1974 bis 1990 habe ich dem Literaturarchiv in Marbach gegeben. Die Bibel war eine Zeit lang mein täglich Brot. Das erste, was ich danach in diesem Haus geschrieben habe, war der „Versuch über den geglückten Tag“. Darin gibt es sehr viele Anspielungen auf meine Lektüre der Heiligen Schrift.
Bevor ich hier in das Haus gezogen bin, habe ich die ganze Heilige Schrift, von Alpha bis Omega, auf griechisch gelesen. Ich habe lange Jahre griechisch gelernt und auch ein bisschen aus dem Altgriechischen übersetzt, Aischylos und Sophokles. Die Bibel habe ich dann Wort für Wort mit einem Wörterbuch gelesen – die Notizbücher dieser Jahre 1974 bis 1990 habe ich dem Literaturarchiv in Marbach gegeben. Die Bibel war eine Zeit lang mein täglich Brot. Das erste, was ich danach in diesem Haus geschrieben habe, war der „Versuch über den geglückten Tag“. Darin gibt es sehr viele Anspielungen auf meine Lektüre der Heiligen Schrift.
In Ihrem jüngst erschienen Gedichtband „Leben ohne Poesie“ gibt es ein Gedicht über die Verkündigung:
Der wunderbarste Raum
der wunderbarste Abstand
der wunderbarste Zwischenraum
ist der zwischen dem Engel der Verkündigung
und der jungfräulich Gebären-Sollenden:
Abstand von der Lilie des Feldes
zur Lilie des sechsten Tages
der wunderbarste Abstand
der wunderbarste Zwischenraum
ist der zwischen dem Engel der Verkündigung
und der jungfräulich Gebären-Sollenden:
Abstand von der Lilie des Feldes
zur Lilie des sechsten Tages
Sind das religiöse Bilder, die für Sie besondere Symbolkraft haben?
Natürlich sind das auch Bilder, denn der Verkündigungsengel wird ja mit einer Lilie dargestellt. Die schönste Verkündigung, die ich gesehen habe, stammt von Hans Memling. Da kommt der Engel geflogen, während Maria liest – sie liest ja immer auf den Verkündigungsdarstellungen. Man sieht den Schwung der Flügel, und vom Lufthauch fliegt eine Seite des Buches auf, in dem die Jungfrau Maria liest – was für eine unglaubliche Erzählung, was für ein schönes Bild.
Natürlich sind das auch Bilder, denn der Verkündigungsengel wird ja mit einer Lilie dargestellt. Die schönste Verkündigung, die ich gesehen habe, stammt von Hans Memling. Da kommt der Engel geflogen, während Maria liest – sie liest ja immer auf den Verkündigungsdarstellungen. Man sieht den Schwung der Flügel, und vom Lufthauch fliegt eine Seite des Buches auf, in dem die Jungfrau Maria liest – was für eine unglaubliche Erzählung, was für ein schönes Bild.
Wurzelt Ihre Religiosität in der Kindheit oder hat sie sich erst später entwickelt?
Zu der Zeit, als ich „Langsame Heimkehr“ schrieb, das Buch, mit dem ich mich laut Franz Kafka am meisten selber umgegraben habe, kamen all diese gewissen Angelerntheiten aus meiner Kindheit und Jugend wieder zurück und haben sich verwandelt von der Angelerntheit zu etwas zu Lernendem. Das hat mich bis jetzt nicht verlassen. So kam es auch zum Gedicht über die Lilie des sechsten Tages, das Sie gerade zitiert haben.
Zu der Zeit, als ich „Langsame Heimkehr“ schrieb, das Buch, mit dem ich mich laut Franz Kafka am meisten selber umgegraben habe, kamen all diese gewissen Angelerntheiten aus meiner Kindheit und Jugend wieder zurück und haben sich verwandelt von der Angelerntheit zu etwas zu Lernendem. Das hat mich bis jetzt nicht verlassen. So kam es auch zum Gedicht über die Lilie des sechsten Tages, das Sie gerade zitiert haben.
Was bedeutet es Ihnen, Gedichte zu schreiben?
Ich habe in meinem Leben vielleicht fünf wirkliche Gedichte geschrieben. Nehmen Sie das Gedicht: „An den Morgen.“
Aufgewacht vor dem morgenhellen Himmel:
Über die noch dunklen Dächer
treibt aus den Kaminen schon langsamer Rauch
Die Vögel: Sine fine dicentes
Und alle Lieben leben
„Sine fine dicentes“, diese Formulierung kommt aus der Heiligen Messe. Ohne Unterlass wird gesagt: heilig, heilig, heilig, heilig. Ich habe nur das „heilig“ weggelassen. Die Vögel am Morgen, sine fine dicentes, sangen ohne Unterlass. Das muss man wissen, das ist die Essenz des Gedichtes. Wie ich dazu kam? Es hat mich angeflogen, vor langer Zeit schon. Was sich als Gedicht ausdrückt, sehe und spüre ich nicht als Gedicht - es muss dringlich und leicht sein. Heute gibt es eigentlich kaum mehr Gedichte, das kommt auch in den „Unwillkürlichen Selbstgesprächen“ vor: „Die Gedichte werden immer seltener.“. Ich frage mich, warum.
Ich habe in meinem Leben vielleicht fünf wirkliche Gedichte geschrieben. Nehmen Sie das Gedicht: „An den Morgen.“
Aufgewacht vor dem morgenhellen Himmel:
Über die noch dunklen Dächer
treibt aus den Kaminen schon langsamer Rauch
Die Vögel: Sine fine dicentes
Und alle Lieben leben
„Sine fine dicentes“, diese Formulierung kommt aus der Heiligen Messe. Ohne Unterlass wird gesagt: heilig, heilig, heilig, heilig. Ich habe nur das „heilig“ weggelassen. Die Vögel am Morgen, sine fine dicentes, sangen ohne Unterlass. Das muss man wissen, das ist die Essenz des Gedichtes. Wie ich dazu kam? Es hat mich angeflogen, vor langer Zeit schon. Was sich als Gedicht ausdrückt, sehe und spüre ich nicht als Gedicht - es muss dringlich und leicht sein. Heute gibt es eigentlich kaum mehr Gedichte, das kommt auch in den „Unwillkürlichen Selbstgesprächen“ vor: „Die Gedichte werden immer seltener.“. Ich frage mich, warum.
Gehen Sie in die Messe? In den „Selbstgesprächen“ findet sich der Satz: „Warum bin ich nicht in die Messe gegangen, ich Arschloch.“
Ja, das war in Chicago, ich sehe es immer noch vor mir. Ich habe mich am Michigansee herumgetrieben, und eine Zeitlang war das sehr schön - allein sein, allein gehen, am meerhaften See von Chicago. Doch dann dachte ich: Nein, es hat mir doch die Gemeinschaft von Leuten gefehlt, die man zwar nicht kennt, die aber ganz auf die Messe ausgerichtet sind, auf die Eucharistie. Am Ende habe ich mich nicht gerade schuldig gefühlt, aber ich hatte ein Gefühl des Versäumnisses. Mein Rhythmus war zu sehr auf das ekstatische Alleingehen am See gerichtet gewesen.
Ja, das war in Chicago, ich sehe es immer noch vor mir. Ich habe mich am Michigansee herumgetrieben, und eine Zeitlang war das sehr schön - allein sein, allein gehen, am meerhaften See von Chicago. Doch dann dachte ich: Nein, es hat mir doch die Gemeinschaft von Leuten gefehlt, die man zwar nicht kennt, die aber ganz auf die Messe ausgerichtet sind, auf die Eucharistie. Am Ende habe ich mich nicht gerade schuldig gefühlt, aber ich hatte ein Gefühl des Versäumnisses. Mein Rhythmus war zu sehr auf das ekstatische Alleingehen am See gerichtet gewesen.
Der Schriftsteller in Ihrem Buch sagt, dass er jede Form von Parteigängertum vermeide. „...selbst mit einer ‚aus dem anderen Geschlecht’ zusammen sah er sich als Partei. Und Teil einer Partei zu sein, das war nichts für ihn.“ Ist die Gemeinschaft der Gläubigen die einzige, der Sie sich anschließen können?
Ja, je nachdem natürlich, was das für Gläubige sind. In einem meiner Stücke wird der Satz: „Warum toben die Heiden?“ aus dem zweiten Psalm Davids abgewandelt. Der wilde Mann in meinem Stück sagt: „Und heute toben die Gläubigen“. Es kommt eben immer darauf an. Aber, wenn es zart und dem Wort der Schrift fein nachgezogen abläuft – das kann auch der Koran sein - , dann ist das meine Gemeinschaft. Es kann aber genauso die Gemeinschaft auf einem Fußballplatz sein, die einem guten Spiel beiwohnt. Oder die Gemeinschaft, die einen großen Film im Kino anschaut, was nicht so häufig vorkommt. Oder die noch seltener sich ereignende Gemeinschaft eines großen Theaterabends. Auch das ist eine herrliche Gemeinschaft. Bei Konzerten bin ich schon etwas weniger überzeugt, wenn ich an meine Erfahrungen mit dem Konzertpublikum in Salzburg denke. In der Musik geschieht es vielleicht eher bei Pop-Konzerten, bei Van Morrison oder Bob Dylan. Da habe ich schon das Gefühl, dass das Publikum eine gute Gemeinschaft ist. Nach dem Konzert geht jeder für sich weg, aber eigentlich doch noch in einer Gemeinschaft. Und sogar der schrammende Schuh der Weggehenden ist ein Nachklang der Stimme dessen, der gesungen hat. Das nenne ich Gemeinschaft, aber das ist alles flüchtig.
Ja, je nachdem natürlich, was das für Gläubige sind. In einem meiner Stücke wird der Satz: „Warum toben die Heiden?“ aus dem zweiten Psalm Davids abgewandelt. Der wilde Mann in meinem Stück sagt: „Und heute toben die Gläubigen“. Es kommt eben immer darauf an. Aber, wenn es zart und dem Wort der Schrift fein nachgezogen abläuft – das kann auch der Koran sein - , dann ist das meine Gemeinschaft. Es kann aber genauso die Gemeinschaft auf einem Fußballplatz sein, die einem guten Spiel beiwohnt. Oder die Gemeinschaft, die einen großen Film im Kino anschaut, was nicht so häufig vorkommt. Oder die noch seltener sich ereignende Gemeinschaft eines großen Theaterabends. Auch das ist eine herrliche Gemeinschaft. Bei Konzerten bin ich schon etwas weniger überzeugt, wenn ich an meine Erfahrungen mit dem Konzertpublikum in Salzburg denke. In der Musik geschieht es vielleicht eher bei Pop-Konzerten, bei Van Morrison oder Bob Dylan. Da habe ich schon das Gefühl, dass das Publikum eine gute Gemeinschaft ist. Nach dem Konzert geht jeder für sich weg, aber eigentlich doch noch in einer Gemeinschaft. Und sogar der schrammende Schuh der Weggehenden ist ein Nachklang der Stimme dessen, der gesungen hat. Das nenne ich Gemeinschaft, aber das ist alles flüchtig.
„So alt, und immer noch ungeduldig.“ - „Dreiundsechzig Jahre Ungeduld“ (im Flugzeug) – Sätze aus Ihren „Selbstgesprächen“.
Ja, das trifft auf mich leider zu.
Ja, das trifft auf mich leider zu.
Verliert sich die Ungeduld nicht mit der Zeit?
Warten Sie, in einer halben Stunde werden Sie meine Ungeduld spüren (lacht). Ja, es ist furchtbar. Ich gebe Ihnen das, Frau Eichel, ich habe extra für Sie noch ein paar kleine Seiten neuer „Selbstgespräche“ abgeschrieben. Da kommt mehrmals die Ungeduld vor. Hier - aber das muss man lang wirken lassen: „Ungeduld ist grußlos.“ Ich meine, es ist eigentlich ein Blödsinn, aber wenn man darüber nachdenkt, ist doch was dran. Die Ungeduld kann nicht grüßen.
Warten Sie, in einer halben Stunde werden Sie meine Ungeduld spüren (lacht). Ja, es ist furchtbar. Ich gebe Ihnen das, Frau Eichel, ich habe extra für Sie noch ein paar kleine Seiten neuer „Selbstgespräche“ abgeschrieben. Da kommt mehrmals die Ungeduld vor. Hier - aber das muss man lang wirken lassen: „Ungeduld ist grußlos.“ Ich meine, es ist eigentlich ein Blödsinn, aber wenn man darüber nachdenkt, ist doch was dran. Die Ungeduld kann nicht grüßen.
Sie hat keine Zeit für Form, keinen Blick für andere …
… ja, und sie hat auch nicht die Freude am Grüßen. Naja, Freude ist schon viel zu sehr interpretiert. Haben Sie einen Moment Geduld?
… ja, und sie hat auch nicht die Freude am Grüßen. Naja, Freude ist schon viel zu sehr interpretiert. Haben Sie einen Moment Geduld?
Ja, ich gedulde mich.
Warten Sie, ich muss es suchen. Ah, da ist wieder die Ungeduld, sogar zweimal: „Und solange du die Geduld nicht hast, bist du nur ein trüber Gast.“ Dann gleich noch einmal: „Unmusikalische Ungeduld“.
Warten Sie, ich muss es suchen. Ah, da ist wieder die Ungeduld, sogar zweimal: „Und solange du die Geduld nicht hast, bist du nur ein trüber Gast.“ Dann gleich noch einmal: „Unmusikalische Ungeduld“.
Da fällt mir ein anderes „Selbstgespräch“ ein: „Musikalisch gehen.“ Die Ungeduld ist nicht rhythmisiert. Sie wandern jede Tag viele Stunden in den Wäldern hier bei Paris. Gibt es eine musikhafte Freude am Gehen?
Vieles davon ist schon Vergangenheit. Diese Freude, die beim Gehen und durch das Gehen entsteht, ist nicht mehr so vorhanden. Vielleicht gehe ich nicht lange genug, es genügt ja nicht, eine halbe Stunde in den Wald zu spazieren. Da fängt es ja erst an.
Vieles davon ist schon Vergangenheit. Diese Freude, die beim Gehen und durch das Gehen entsteht, ist nicht mehr so vorhanden. Vielleicht gehe ich nicht lange genug, es genügt ja nicht, eine halbe Stunde in den Wald zu spazieren. Da fängt es ja erst an.
Mir ist in Ihrer Erzählung „Die morawische Nacht“ aufgefallen, dass, wie auch in vielen Ihrer anderen Texte, sehr viele Arten des Gehens beschrieben werden. Das wirkt manchmal wie eine Choreographie: Leute, die um Gräber herumtänzeln, andere, die über steiniges Gelände stolpern. Sind diese Körperrhythmen eine Art von Musik, die Sie empfinden?
Ja, ich habe mir oft gefragt, warum eigentlich die Ballett-Leute nicht einen Tanz aus dem Gehen machen. Die Tänzer wollen immer hüpfen und springen, statt sich zu fragen: Was gibt es für Hindernisse auf der Welt? Es gibt ja unglaubliche Hindernisse, und wenn man sie übersteht, wird daraus ein Tanz, ohne das man extra dieses ballettöse Gehopse macht. Warum denn nicht genauer schauen, was Hindernisse sind? Und wie aus etwas Schwerem, schwer zu Bestehenden im Leben ein Tanz wird, indem man die richtige Bewegung dafür findet? Daraus wird dann eine Art Zehntelsekundentanz, und dann geht es wieder ganz normal weiter. Das tut dem Zuschauer ebenso gut wie dem, der das bestanden hat. Ich denke, dass die Ballett-Leute viel zu wenig Forscher sind. Auch wenn sie denken, dass sie revolutionäres Ballett machen, schauen sie doch nicht genug. Das kann man von sich selber auch sagen.
Ja, ich habe mir oft gefragt, warum eigentlich die Ballett-Leute nicht einen Tanz aus dem Gehen machen. Die Tänzer wollen immer hüpfen und springen, statt sich zu fragen: Was gibt es für Hindernisse auf der Welt? Es gibt ja unglaubliche Hindernisse, und wenn man sie übersteht, wird daraus ein Tanz, ohne das man extra dieses ballettöse Gehopse macht. Warum denn nicht genauer schauen, was Hindernisse sind? Und wie aus etwas Schwerem, schwer zu Bestehenden im Leben ein Tanz wird, indem man die richtige Bewegung dafür findet? Daraus wird dann eine Art Zehntelsekundentanz, und dann geht es wieder ganz normal weiter. Das tut dem Zuschauer ebenso gut wie dem, der das bestanden hat. Ich denke, dass die Ballett-Leute viel zu wenig Forscher sind. Auch wenn sie denken, dass sie revolutionäres Ballett machen, schauen sie doch nicht genug. Das kann man von sich selber auch sagen.
Auch das avantgardistische Ballett ist Ihnen zu artifiziell?
Ja, artifiziell, das haben Sie gut gesagt. Man sollte sich die Leute auf der Straße oder in der Steppe oder auf einem Bau anschauen. Es muss ja deshalb nicht gleich eine Pantomime werden.
Ja, artifiziell, das haben Sie gut gesagt. Man sollte sich die Leute auf der Straße oder in der Steppe oder auf einem Bau anschauen. Es muss ja deshalb nicht gleich eine Pantomime werden.
„Ich schaue zu wenig. Ich schaue zu wenig auf.“
Das meine ich auch ganz technisch; man sollte einfach nach oben schauen. Nachdem man lange hinaufgeschaut hat, sieht man unten den Boden viel, viel besser. Probieren Sie das mal, diesen Rat kann ich nur jedem geben. Lange hinaufschauen, dann sieht man unten sofort, wo ein Steinpilz ist oder wo eine Ameise wackelt oder wo eine Hornisse grad in ihr Nest schlüpft. Oder auch zum Beispiel, wenn Hundedreck daliegt. Kann nichts schaden.
Das meine ich auch ganz technisch; man sollte einfach nach oben schauen. Nachdem man lange hinaufgeschaut hat, sieht man unten den Boden viel, viel besser. Probieren Sie das mal, diesen Rat kann ich nur jedem geben. Lange hinaufschauen, dann sieht man unten sofort, wo ein Steinpilz ist oder wo eine Ameise wackelt oder wo eine Hornisse grad in ihr Nest schlüpft. Oder auch zum Beispiel, wenn Hundedreck daliegt. Kann nichts schaden.
Ist das Schauen der Gegenpol zum Terror der Medienbilder?
Ja, das kann man sagen - der heutigen, der käuflichen Bilder, der verkauften Bilder, die in die Kommunikationskanäle hineingeschossen werden.
Ja, das kann man sagen - der heutigen, der käuflichen Bilder, der verkauften Bilder, die in die Kommunikationskanäle hineingeschossen werden.
Entziehen Sie sich völlig? Sehen Sie nicht fern?
Natürlich sehe ich fern, aber ich schlafe sofort ein, es ist furchtbar. Das einzige, zu dem ich mich richtig gedrängt fühle, sind die Nachrichten spät nachts, aber nach fünf Minuten bin ich dann verschwunden. Es gab nur zwei Sachen, bei denen ich nicht eingeschlafen bin in den letzten Jahren – das war immer Fußball oder Pop-Konzerte. Auch französische Chansons sehe ich sehr gerne. Und sogar da bin ich jetzt schon in Gefahr wegzududeln.
Natürlich sehe ich fern, aber ich schlafe sofort ein, es ist furchtbar. Das einzige, zu dem ich mich richtig gedrängt fühle, sind die Nachrichten spät nachts, aber nach fünf Minuten bin ich dann verschwunden. Es gab nur zwei Sachen, bei denen ich nicht eingeschlafen bin in den letzten Jahren – das war immer Fußball oder Pop-Konzerte. Auch französische Chansons sehe ich sehr gerne. Und sogar da bin ich jetzt schon in Gefahr wegzududeln.
Sehen Sie deutsche Nachrichten?
Nein, nein, ich habe keinen deutschen Sender, ich habe nur drei französische Programme.
Nein, nein, ich habe keinen deutschen Sender, ich habe nur drei französische Programme.
Interessieren Sie sich für das, was in Deutschland politisch passiert?
Ich lese Die Zeit und die Süddeutsche.
Ich lese Die Zeit und die Süddeutsche.
Informieren Sie sich über das politische Tagesgeschehen?
Ich sollte eigentlich mehr wissen, vor allem, was Österreich betrifft. Deshalb kaufe ich mir die Süddeutsche, weil die auch über Österreich berichtet. Aber es ist bei weitem nicht genug.
Ich sollte eigentlich mehr wissen, vor allem, was Österreich betrifft. Deshalb kaufe ich mir die Süddeutsche, weil die auch über Österreich berichtet. Aber es ist bei weitem nicht genug.
Ist das Pflichtbewusstsein oder Neigung?
Mehr Pflichtbewusstsein, Neigungen in dieser Richtung habe ich nicht. Es ist eher eine unangenehme Neugier, die ich nicht an mir mag. Da sitze ich manchmal am Abend in einem Restaurant, wenn ich allein bin, und lese Le Monde - und danach fühle ich mich total bescheuert. Ich gebe nicht den Zeitungen die Schuld an meinem Bescheuertsein, sondern ich lese einfach zu viel. Statt dass ich, wir mir das manchmal gelingt, beim Durchblättern sage: Diese zwei, drei Artikel werde ich lesen, lese ich dann aber alles, und danach sehe ich überhaupt nichts mehr.
Mehr Pflichtbewusstsein, Neigungen in dieser Richtung habe ich nicht. Es ist eher eine unangenehme Neugier, die ich nicht an mir mag. Da sitze ich manchmal am Abend in einem Restaurant, wenn ich allein bin, und lese Le Monde - und danach fühle ich mich total bescheuert. Ich gebe nicht den Zeitungen die Schuld an meinem Bescheuertsein, sondern ich lese einfach zu viel. Statt dass ich, wir mir das manchmal gelingt, beim Durchblättern sage: Diese zwei, drei Artikel werde ich lesen, lese ich dann aber alles, und danach sehe ich überhaupt nichts mehr.
„Ich habe keine Musik in mir. Und ich will keine Musik in mir. Und dabei bleibt’s.“
Ja, das ist auch so ein Spruch, der halt aus dem Augenblick kommt.
Ja, das ist auch so ein Spruch, der halt aus dem Augenblick kommt.
Sie haben einmal gesagt, Sie hörten keine Musik mehr zuhause, weil Sie dann das irrige Gefühl hätten, schon etwas geschafft zu haben.
Ja, das hat mir ein Bekannter mal gesagt, und es hat mich so richtig ins Nachdenken gebracht. Das Musikhören gaukelt einem vor, dass man etwas gemacht hat, das man erst machen sollte. So, wie es mir auf andere Weise auch mit dem Wandern in den Wäldern geht, am Morgen, bevor ich arbeite. Ich gehe lange in den Wald, und da erlebe ich so viel, dass ich beim Nachhausekommen denke: Eigentlich habe ich schon alles getan – und dabei sollte ich ans Schreiben gehen. Nietzsche, der ein wahres Musikopfer war und ein Musikkenner im Gegensatz zu mir, hat ja sehr treffend gesagt: Hüte dich vor dem Mond, hüte dich vor der Musik.
Ja, das hat mir ein Bekannter mal gesagt, und es hat mich so richtig ins Nachdenken gebracht. Das Musikhören gaukelt einem vor, dass man etwas gemacht hat, das man erst machen sollte. So, wie es mir auf andere Weise auch mit dem Wandern in den Wäldern geht, am Morgen, bevor ich arbeite. Ich gehe lange in den Wald, und da erlebe ich so viel, dass ich beim Nachhausekommen denke: Eigentlich habe ich schon alles getan – und dabei sollte ich ans Schreiben gehen. Nietzsche, der ein wahres Musikopfer war und ein Musikkenner im Gegensatz zu mir, hat ja sehr treffend gesagt: Hüte dich vor dem Mond, hüte dich vor der Musik.
Wenn jemand Wagner liebt, ist die Gefahr nicht weit.
Völlig richtig. Aber ich höre schon Musik. Es war eine dieser Prämissen, die man sich stellt, und an die man sich dann zum Glück nicht hält: Mein Haus soll ein Haus ohne Musik sein. Am nächsten Tag schon habe ich wieder Musik gehört, ob das Bach war oder Erik Satie, den ich besonders gern höre, oder Anton von Webern – er komponiert eine Musik, die spricht. Ich habe selten erlebt, das Musik sprechen kann. Man weiß nicht, was sie sagt, und das ist was Herrliches. Man ist nicht behelligt von Bedeutung.
Völlig richtig. Aber ich höre schon Musik. Es war eine dieser Prämissen, die man sich stellt, und an die man sich dann zum Glück nicht hält: Mein Haus soll ein Haus ohne Musik sein. Am nächsten Tag schon habe ich wieder Musik gehört, ob das Bach war oder Erik Satie, den ich besonders gern höre, oder Anton von Webern – er komponiert eine Musik, die spricht. Ich habe selten erlebt, das Musik sprechen kann. Man weiß nicht, was sie sagt, und das ist was Herrliches. Man ist nicht behelligt von Bedeutung.
Musik hat nicht den Terror der Eindeutigkeit. Ist die Mehrdeutigkeit das eigentliche Metier des Schriftstellers? Eines Ihrer Gedichte heißt „Verwechslungen“ und beginnt:
„Ist das da auf dem Flugfeld, mit dem aufgerissenen Maul, ein Hai?“ –
- „Nein, es ist die offene Einstiegsluke des Flugzeugs.“
„Liegt da im Obstgarten nicht ein Haufen von Handgranaten?“
- „Nein, was da im Obstgarten liegt, ist ein Haufen von schwarzen, verfaulten Äpfeln.“
„Schau, in die Briefmarke schlägt ein Blitz ein!“
„Nein, das ist nur ein Teil des Sonderstempels.“
Ist das Missverständnis nicht viel schöner? Ist nicht der poetische Blick auf die Welt der verwandelnde Blick?
Ja, Sie haben Recht. Mit diesem Gedicht aus „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ verhält es sich wie mit den Irrtümern. Würde ich eine Autobiographie schreiben, wären der rote Faden die Täuschungen. Einerseits die guten, wie Sie sagen, andererseits die unfruchtbaren, und drittens jene, die die Deutschen und die Engländer auf den falschen Weg gebracht haben.
„Ist das da auf dem Flugfeld, mit dem aufgerissenen Maul, ein Hai?“ –
- „Nein, es ist die offene Einstiegsluke des Flugzeugs.“
„Liegt da im Obstgarten nicht ein Haufen von Handgranaten?“
- „Nein, was da im Obstgarten liegt, ist ein Haufen von schwarzen, verfaulten Äpfeln.“
„Schau, in die Briefmarke schlägt ein Blitz ein!“
„Nein, das ist nur ein Teil des Sonderstempels.“
Ist das Missverständnis nicht viel schöner? Ist nicht der poetische Blick auf die Welt der verwandelnde Blick?
Ja, Sie haben Recht. Mit diesem Gedicht aus „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ verhält es sich wie mit den Irrtümern. Würde ich eine Autobiographie schreiben, wären der rote Faden die Täuschungen. Einerseits die guten, wie Sie sagen, andererseits die unfruchtbaren, und drittens jene, die die Deutschen und die Engländer auf den falschen Weg gebracht haben.
Die Musik ist das eine – viel schlimmer aber sind für den Helden der „Morawischen Nacht“ die Geräusche: Er hat eine wahre Geräuschphobie.
Das war mir sympathisch, weil ich Lärm für eine unglaublich unterschätzte Belästigung halte.
Das war mir sympathisch, weil ich Lärm für eine unglaublich unterschätzte Belästigung halte.
Ach, meinen Sie das auch?
Wir reden von Elektrosmog, von Pestiziden, von allen möglichen Umwelteinflüssen, selten aber von der Aushöhlung durch die permanente Geräuschkulisse. In Ihrem Buch heißt das Gegenkonzept „Geräuschabwehr“.
Ja, ich bin immer noch gestresst, es ist furchtbar und auch schön, wie geräuschempfindlich ich bin. Da kann es passieren, dass man sogar innen und außen verwechselt, dass der Knopf an der Jacke die Tischkante streift, und man zusammenzuckt, als ob draußen die Fehlzündung eines Autos losgeht.
Wir reden von Elektrosmog, von Pestiziden, von allen möglichen Umwelteinflüssen, selten aber von der Aushöhlung durch die permanente Geräuschkulisse. In Ihrem Buch heißt das Gegenkonzept „Geräuschabwehr“.
Ja, ich bin immer noch gestresst, es ist furchtbar und auch schön, wie geräuschempfindlich ich bin. Da kann es passieren, dass man sogar innen und außen verwechselt, dass der Knopf an der Jacke die Tischkante streift, und man zusammenzuckt, als ob draußen die Fehlzündung eines Autos losgeht.
In dem Zusammenhang haben Sie gesagt, Sie seien schreckhaft, aber nicht ängstlich.
Das ist völlig richtig, ja. Ich zucke oft beim kleinsten Geräusch zusammen, aber ängstlich bin ich eher nicht.
Das ist völlig richtig, ja. Ich zucke oft beim kleinsten Geräusch zusammen, aber ängstlich bin ich eher nicht.
„Jede Straße hat ihre Verlorenen.“
Ich selbst kann nicht verloren gehen, weil ich in diesem Kaff jede Straße kenne. Aber ich sehe die, die man früher in meinem Dorf die Dorfdeppen nannte. Ich kann sie verstehen, wenn sie endlos lang am Marktstand nach Kleingeld suchen, denn damit wollen sie wie die Fußballer Zeit schinden, damit sie nicht nach Hause gehen müssen. Das ist entsetzlich. Das sind die wirklich Verlorenen.
Ich selbst kann nicht verloren gehen, weil ich in diesem Kaff jede Straße kenne. Aber ich sehe die, die man früher in meinem Dorf die Dorfdeppen nannte. Ich kann sie verstehen, wenn sie endlos lang am Marktstand nach Kleingeld suchen, denn damit wollen sie wie die Fußballer Zeit schinden, damit sie nicht nach Hause gehen müssen. Das ist entsetzlich. Das sind die wirklich Verlorenen.
Kennen Sie das Gefühl der Angst, im übertragenen Sinne verloren zu gehen? Sich selbst verloren zu gehen?
Es steht alles auf des Messers Schneide. Gerade die Leute, die heute die Sieger sind, können schon am nächsten Morgen ganz unten sein. Das ist mein Grundgefühl. Ich habe heute einen Triumph mit irgendeinem Scheißerfolg, und am nächsten Tag bin ich der letzte Mensch. Heute bin ich glücklich mit jemandem, und ich freue mich, wie man sich überhaupt nur freuen kann, am nächsten Tag aber möchte ich Punkt, Punkt, Punkt.
Es steht alles auf des Messers Schneide. Gerade die Leute, die heute die Sieger sind, können schon am nächsten Morgen ganz unten sein. Das ist mein Grundgefühl. Ich habe heute einen Triumph mit irgendeinem Scheißerfolg, und am nächsten Tag bin ich der letzte Mensch. Heute bin ich glücklich mit jemandem, und ich freue mich, wie man sich überhaupt nur freuen kann, am nächsten Tag aber möchte ich Punkt, Punkt, Punkt.
Das sind Wechselfälle. Fühlen Sie sich unzerstörbar?
Nicht nur das Glück, auch das Unglück ist manchmal eine Schimäre. Mein Bruder, der sehr schwer krank ist, der jeden Tag leidet und viele Tabletten nehmen muss, freut sich des Lebens, so weit er kann - vielleicht mehr als unsereiner. Er sagt, dass es manchmal Tage gibt, in denen das Leben ganz einfach sei, sogar für ihn. Und dann wird es wieder so schwer. Man weiß nicht, warum und wie die Gewichte sich verlagern. Ein kleines Gewicht genügt, und plötzlich denkt man, es geht überhaupt nicht weiter. Ich weiß nicht, woran das liegt. - Dem Papst geht es sicher nicht so.
Nicht nur das Glück, auch das Unglück ist manchmal eine Schimäre. Mein Bruder, der sehr schwer krank ist, der jeden Tag leidet und viele Tabletten nehmen muss, freut sich des Lebens, so weit er kann - vielleicht mehr als unsereiner. Er sagt, dass es manchmal Tage gibt, in denen das Leben ganz einfach sei, sogar für ihn. Und dann wird es wieder so schwer. Man weiß nicht, warum und wie die Gewichte sich verlagern. Ein kleines Gewicht genügt, und plötzlich denkt man, es geht überhaupt nicht weiter. Ich weiß nicht, woran das liegt. - Dem Papst geht es sicher nicht so.
Wer weiß...
Na ja, von Mutter Teresa habe ich gehört, dass sie manchmal schwerste Depressionen hatte. Es hat schon ein bisschen mein Vertrauen in sie geweckt, dass sie so auf der Kippe war.
Na ja, von Mutter Teresa habe ich gehört, dass sie manchmal schwerste Depressionen hatte. Es hat schon ein bisschen mein Vertrauen in sie geweckt, dass sie so auf der Kippe war.
Beschäftigen Sie sich mit dem Tod?
Das ist übrigens gut gefragt, ich kann Ihnen nämlich eine Antwort geben: Ich beschäftige mich nicht mit dem Tod, er beschäftigt mich. Jeden Tag, so ist es halt.
Das ist übrigens gut gefragt, ich kann Ihnen nämlich eine Antwort geben: Ich beschäftige mich nicht mit dem Tod, er beschäftigt mich. Jeden Tag, so ist es halt.
Und warum beschäftigt der Tod Sie? Sie sind vor kurzem 65 geworden - ist es das Gefühl des Alterns?
Ich habe schon als Achtjähriger fürchterliche Todesängste gehabt, nur weil der Priester im Religionsunterricht gesagt hat, man könne am Abend, wenn man einschläft, nicht wissen, ob man am Morgen aufwacht. Danach hatte ich monatelang Todesangst. Ich wollte nicht einschlafen, weil ich dachte: Ich kann ja nicht wissen, ob ich wieder aufwache. Es war damals eigentlich schlimmer als jetzt.
Ich habe schon als Achtjähriger fürchterliche Todesängste gehabt, nur weil der Priester im Religionsunterricht gesagt hat, man könne am Abend, wenn man einschläft, nicht wissen, ob man am Morgen aufwacht. Danach hatte ich monatelang Todesangst. Ich wollte nicht einschlafen, weil ich dachte: Ich kann ja nicht wissen, ob ich wieder aufwache. Es war damals eigentlich schlimmer als jetzt.
Und was tun Sie, wenn der Tod Sie beschäftigt?
Heute halte ich mich an den Satz von Spinoza: Der vernünftige Mensch, so lang er lebt, denkt über das Leben nach. Der vernünftige Mensch spricht nicht dauernd vom Tod.
Heute halte ich mich an den Satz von Spinoza: Der vernünftige Mensch, so lang er lebt, denkt über das Leben nach. Der vernünftige Mensch spricht nicht dauernd vom Tod.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Christine Eichel